Jackie. Wer braucht schon eine Mutter. Ein Film von Antoinette Beumer. DVD-Start: 16. Mai 2014 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.05.2014


Jackie. Wer braucht schon eine Mutter. Ein Film von Antoinette Beumer. DVD-Start: 16. Mai 2014
Sabine Reichelt

Erzwungene Familientreffen sind manchmal die besten, auch wenn das zu Anfang nicht so scheinen mag. Das erfahren auch drei Frauen – unter ihnen die brillante Holly Hunter als ...




... Indiana-Jones-Mutter – die sich auf eine gemeinsame Fahrt durch die USA begeben.

Dieser Film hat alles, was ein gutes Roadmovie braucht: drei unterschiedliche und liebenswerte Charaktere, einen alten Wohnwagen in den weiten Wüsten und Canyons New Mexicos und eine reichliche Portion Gefühl und Humor. Seine Handlung ist schnell erzählt. Die beiden erwachsenen Zwillingsschwestern Sofie und Daan sind bei ihren schwulen Vätern in den Niederlanden aufgewachsen. Ihre Mutter Jackie, eine US-Amerikanerin, kennen sie bisher nicht, doch das soll sich ändern, als diese sich einen komplizierten Knochenbruch zuzieht und auf die Hilfe ihrer Töchter angewiesen ist. Die drei Frauen sind also gemeinsam im Wohnwagen auf dem Weg zur Rehaklinik und wie in jedem guten Roadmovie gilt auch hier: Der Weg ist das Ziel.

Unterwegs passiert dann auch so einiges. Die eigenbrötlerische Jackie ist zunächst einmal überhaupt nicht erfreut, die beiden Frauen zu sehen und zeigt sich wenig kooperativ. Außerdem treten die Differenzen zwischen den beiden Schwestern in der Einsamkeit New Mexicos deutlicher zutage als noch im heimischen Holland: Kontroll-Freak trifft auf Laissez-faire-Verfechterin, übertriebener beruflicher Ehrgeiz auf Mal-sehen-was-der-Tag-uns-bringt. Aber die Frauen arrangieren sich mit der ungewohnten Situation und wachsen im Laufe der Fahrt als kleine Familie zusammen.

Wer sich bei der beschriebenen Konstellation (Frauen im Auto unterwegs durch die USA) an "Thelma & Louise" erinnert fühlt, liegt auch nicht ganz falsch. Einige Szenen hat Regisseurin Antoinette Beumer mit Anklängen an den Filmklassiker versehen. Eine ähnliche Szene wie die der versuchten Vergewaltigung (mit anschließendem Mord), die Thelma und Louise einst zur Flucht veranlasste, spielt auch hier eine Schlüsselrolle. Und ebenfalls ähnlich wie einst Thelma und Louise brechen die beiden Schwestern aus ihrem engen Alltag aus, befreien sich von Job, sexistischem Chef und dem alles kontrollierenden Ehemann. Und kommen am Ende zu der Erkenntnis, dass sie sich eigentlich viel ähnlicher sind als zuerst gedacht.

Zugegeben, das klingt nicht gerade überraschend. Und tatsächlich bedient der Film viele Topoi des amerikanischen Freiheits- und Lebensgefühls: die Fahrt auf dem Highway bei offenem Fenster mit im Wind wehendem Haar, die Begegnung mit einem wütenden Auerochsen und schließlich Burger, Tanz und Karaoke im Diner. Und doch, immer wenn es droht, zu kitschig zu werden, zu viel des Klischees, kommt eine unerwartete Wendung, ein Bruch, und rettet den Film. So entpuppen sich beispielsweise die obligatorischen Biker, die den in der Wüste gestrandeten Frauen zu Hilfe kommen, als "Dykes on Bikes".

Ein absoluter Glücksfall sind die drei Schauspielerinnen, allen voran Holly Hunter, die 1994 einen Oscar für ihre Rolle in Jane Campions "Das Piano" erhielt, und die etwas verschrobene Mutter Jackie absolut überzeugend spielt. Carice und Jelka van Houten sind auch jenseits der Leinwand Schwestern und verkörpern diese Konstellation im Film glaubwürdig und sympathisch.

Es gelingt dem Film, jenes Freiheitsgefühl, das seine Protagonistinnen erleben, auch der Zuschauerin nachvollziehbar zu machen. Die großartige Landschaft und nicht zuletzt die Musik – häufig Bluegrass – vermitteln eine Leichtigkeit, in der auch große Fragen gut aufgehoben sind: Was ist Familie? Sind es Gene, die mensch zufälligerweise teilt, oder aber gemeinsame Erlebnisse, gemeinsam verbrachte Zeit, Freundschaft, Solidarität und – natürlich – Liebe.

AVIVA-Tipp: Antoinette Beumer gelingt es, einen leichten und humorvollen Film über Freiheit und Familie zu drehen, in dem diese als ein Schutz- und Konfliktraum gezeigt wird, wo unterschiedliche Menschen sich selbst und den anderen näher kommen. Erwartungen werden mal bestätigt, dann wieder gekonnt gebrochen – sehenswert!

Jackie. Wer braucht schon eine Mutter
Niederlande/USA 2012
Regie: Antoinette Beumer
Drehbuch: Marnie Blok, Karen van Holst Pellekaan
Darstellerinnen: Holly Hunter, Carice van Houten, Jelka van Houten
Produktion: Hans de Weers, Maarten Swart, Reinout Oerlemans, Sim van Veen
Kamera: Danny Elsen
Schnitt: Marc Bechtold
Szenenbild: Minka Mooren, Bryce Perrin
Kostümbild: Marian van Nieuwenhuijzen, Marion Boot, Barcie Waite
Musik: Wiegel, Meirmans, Snitker
Länge: 98 Minuten
Label: Schwarz Weiss Filmverleih, Vertrieb: Indigo

Sprachfassungen: Deutsche Synchronfassung (Dt. / Engl.), Originalfassung (Nl. / Engl.) Untertitel: Deutsch
Extras: Making-of (NL), Deleted Scenes (NL), Outakes (NL), Trailer (D)
FSK Freigabe: Freigegeben ab 12 Jahren
EAN: 4 047179 850483 Indigo Bestell Nr.: DV 985 048
DVD-Start: 16. Mai 2014

www.jackie-derfilm.de
www.youtube.com

Weitere Informationen:

www.caricevanhouten.nl

www.jelkavanhouten.nl

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Beitrag vom 01.05.2014

Sabine Reichelt